ÖLEMBARGO
Mit Betonung auf „Einheit“ der EU hat Ratspräsident Charles Michel den Durchbruch beim wochenlang nicht vom Fleck gekommenen Sanktionspaket angekündigt. Das darin enthaltene Embargo für russisches Öl wurde jedoch extra für die Zustimmung Ungarns aufgeweicht. Befürchtet wird nun, dass Budapest einen unfairen Marktvorteil haben könnte. Russland steht unterdessen vor der Frage, wohin das Öl künftig gehen wird.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban konnte sich mit seinen Forderungen letztlich durchsetzen: Vor dem Sondergipfel am Montag forderte er umfassende Garantien zur Sicherung der Ölversorgung, bevor er einem Embargo zustimmen könnte. Kurz vor Mitternacht stand fest: Budapest wird sich nicht mehr querlegen, nach knapp einem Monat konnte der Stillstand bei den Sanktionen somit beendet werden.
Doch statt der beschworenen Einheit zeigte sich am Tag danach, dass zwar allgemein die Erleichterung über die letztendliche Einigung überwog. Doch der Ärger über die Ausnahmen für Ungarn klang durch. „Es ist ein typisches Beispiel, wie der Rat ambitionierte Entscheidungen der EU nicht nur vertagt, sondern auch verwässert“, so Sophie Pornschlegel vom European Policy Centre (EPC) gegenüber ORF.at.
Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck etwa warf Orban vor, „ruchlos“ für seine eigenen Interessen gepokert zu haben. Aus dem EU-Parlament wurden unterdessen Rufe laut, das Prinzip der Einstimmigkeit abzuschaffen. „Die Leute sind es einfach satt, sich von Viktor Orban und anderen auf der Nase herumtanzen zu lassen“, sagte EVP-Chef Manfred Weber.
Große Auswirkungen auf den Markt möglich
Klar ist nun auch: Orbans erwirkte Ausnahme, die Ungarn weiter den Bezug von russischem Öl aus Pipelines erlaubt, könnte sich auf den gesamten Markt auswirken. Konkret geht es bei dem erreichten Deal nun darum, dass der Import von russischem Öl auf dem Seeweg eingestellt wird, die Versorgung über Pipelines jedoch nicht. Laut Michel betreffe das Embargo 75 Prozent der Importe.
Ländern wie Ungarn, die an „Druschba“ hängen, wurde aber noch ein weiteres Zugeständnis gemacht. Sollte es zu einem „Unfall“ kommen, den Orban im Vorfeld immer wieder ins Spiel brachte – sprich: Sollte die Pipeline etwa gesprengt werden –, dürften Länder wie Ungarn auch aus anderen Quellen russisches Öl beziehen.
„Der erreichte Kompromiss“ habe „Konsequenzen für den Binnenmarkt, da er den Markt verzerrt“, so Pornschlegel. Bei der Pressekonferenz in der Nacht auf Dienstag wurde auf Nachfrage lediglich damit argumentiert, dass Ungarn mit besonderen Problemen bei der Versorgungssicherheit kämpfe.
Enorme Unterschiede bei Ölpreisen
Ein Blick auf die aktuellen Ölpreise offenbart jedoch den enormen Unterschied: Die „Financial Times“ („FT“) schreibt etwa, dass das russische Rohöl derzeit für etwa 93 Dollar pro Barrel gehandelt werde – im Vergleich zum international gebräuchlichen Brent, das für 120 Dollar gehandelt wird. Zwar vermutet das Blatt, dass der Preisunterschied beim Pipelineöl nicht ganz so gravierend ausfällt. Doch die „FT“ verweist auch auf die ungarische Ölgesellschaft MOL, die seit März von „in die Höhe geschnellten“ Margen berichtete.
Immerhin: Der Wiederverkauf von russischem Pipelineöl wurde untersagt – wie auch der Weiterverkauf von raffinierten Produkten –, „um die Marktverzerrung gering zu halten“, so die „FT“. Dafür gebe es eine Übergangsfrist von acht Monaten – für Tschechien fällt diese mit 18 Monaten deutlich länger aus.
Und auch der Nordzweig der „Druschba“-Pipeline ist nicht ganz außer Acht zu lassen. Denn auch Deutschland und Polen hängen an der Pipeline, erklärten sich aber schon zuvor freiwillig bereit, auf den Ölimport zu verzichten. Verpflichtet sind sie dazu an sich nicht. So sollen bis zum Jahresende insgesamt 90 Prozent der russischen Ölimporte gestoppt werden, hieß es in der Nacht auf Montag auf Nachfrage zu den konkreten Zahlen. Österreich hat sich eigenen Angaben zufolge schon im März gänzlich von russischen Ölimporten verabschiedet.
Zahlreiche Hürden warten auf Ölunternehmen
Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel sieht nach dem Beschluss des Embargos auch jede Menge praktische Herausforderungen für die Ölgesellschaften: „Die Ölunternehmen in den Mitgliedsstaaten werden sich nach neuen Lieferanten umschauen müssen, um ab Dezember die wegfallenden russischen Lieferungen zu ersetzen“, heißt es in einem Statement gegenüber ORF.at „Für einige Ölunternehmen wird das leicht möglich sein, da diese bereits heute breit aufgestellte Bezugsbeziehungen haben – für andere ist der Aufwand höher.“
Auch neue Routen könnten nötig werden. „Die Logistik neuer Lieferbeziehungen kann durchaus komplex sein: neue Routen wie zum Beispiel die Versorgung der Raffinerien in Ostdeutschland über Pipelines zu den Ostseehäfen; andere Ölsorten, an welche die Raffinerien möglicherweise angepasst werden müssen; neue Ausbalancierung des Produktionsportfolios von Raffinerien im atlantischen Becken“, so der Experte.
Unklar, wie lange Ausnahmen gelten
Unklar ist auch, wie lange die Ausnahmen gelten – auch das könnte ein wesentlicher Faktor für das von der EU gerne beschworene „Level Playing Field“, also gleiche Marktbedingungen für alle Teilnehmer, werden. Denn während die EU-Kommission am Dienstag Details zu den Übergangsfristen für den Ölimport lieferte, steht noch überhaupt nicht fest, wie lange die Ausnahme für Ungarn gelte. Auf Nachfrage hieß es Montagnacht, dass die Ausnahme „vorübergehend“ sei und sich die Mitgliedsländer möglichst bald wieder dieser Frage widmen würden.
Späte Einigung auf Ölembargo
Russland wird günstigeren Abnehmer suchen müssen
Unterdessen muss sich erst zeigen, wie hart Russland von dem Embargo getroffen wird. Die volle Wirkung wird es, im Hinblick auf Übergangsfristen, ohnehin wohl erst frühestens mit Jahreswechsel entfalten. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte am Dienstag, dass Moskau dadurch nicht unbedingt weniger Öl exportieren werde. „Wir können Russland nicht davon abhalten, sein Öl an jemanden anderen zu verkaufen“, so Borrell. „So mächtig sind wir nicht.“
Doch: „Sie werden sich nach anderen umschauen müssen, und sie werden sicherlich die Preise senken müssen.“ Damit werden aus Sicht von Borrell bereits die Ziele der EU erreicht. Es gehe darum, den Russen die finanziellen Mittel für ihre Kriegsmaschinerie zu nehmen. „Das wird ganz sicher passieren.“
Ohnehin müssen jetzt aber erst einmal die Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedsländer die Details des mittlerweile sechsten EU-Sanktionspakets ausarbeiten und es dann auch formal auf den Weg bringen – bis dahin sind wohl auch noch Änderungen möglich. Neben dem Ölembargo gibt es weitere Sanktionen: So wird die staatliche Sberbank aus dem Bankenkommunikationssystem SWIFT ausgeschlossen, drei russische Staatssender werden in der EU verboten.
Weitere Sanktionspakete vor enormen Hürden
Ungarns Ministerpräsident Orban geht aus den Verhandlungen zum sechsten Sanktionspaket als Sieger hervor. Einheit, wie es Michel bezeichnet, sehen am Tag danach aber nicht viele. „Der Kompromiss des Rates zum Ölembargo wird von Ratspräsidenten Charles Michel als ein Zeichen von Einheit gedeutet – obwohl Ungarn fast einen Monat lang eine Entscheidung blockiert hat“, so die Expertin Pornschlegel. „Positiv zu bewerten hingegen ist die Tatsache, dass Orban weder Konzessionen zum EU-Wiederaufbaupaket noch zum Rechtsstaatlichkeitsmechanismus erhalten hat“, so Pornschlegel.
Gezeigt hat das sechste Sanktionspaket aber auch, dass ein etwaiges siebentes Paket zur womöglich unbewältigbaren Aufgabe wird. War es für viele Länder vielleicht noch einfach, entweder Ungarn für die Ausnahmen oder die Kommission für das Vorpreschen ohne politische Übereinstimmung zu kritisieren, könnten noch empfindlichere Sanktionen zu wesentlich breiterem Widerstand führen – auch hierzulande.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) gab bereits einen Vorgeschmack, was etwa ein Gasembargo anbelange – das sei „kein Thema“, „auch bei einem nächsten Sanktionspaket“, sagte er zu Beginn des zweiten Gipfeltages. Öl könne man viel leichter kompensieren als Gas, sagte Nehammer.
Links:
- EPC
- Bruegel
- „FT“-Artikel (kostenpflichtig)
- EU-Rat
Hungary’s exception causes imbalance
OILEMBARGO
Emphasizing “unity” of the EU, Council President Charles Michel has announced a breakthrough in the sanctions package that has been stuck for weeks. However, the embargo on Russian oil contained in it was softened specifically for Hungary’s approval. It is now feared that Budapest could have an unfair market advantage. Russia, meanwhile, faces the question of where its oil will go in the future.
Hungary’s Prime Minister Viktor Orban was ultimately able to prevail with his demands: Before the special summit on Monday, he demanded comprehensive guarantees to secure oil supplies before he could agree to an embargo. Shortly before midnight, it was clear that Budapest would no longer oppose the sanctions, thus ending the standstill after almost a month.
But instead of the unity that had been conjured up, the day after it became clear that relief generally prevailed over the final agreement. But anger about the exceptions for Hungary rang through. “It is a typical example of how the Council not only postpones ambitious EU decisions, but also waters them down,” Sophie Pornschlegel of the European Policy Centre (EPC) told ORF.at.
Hungary’s Prime Minister Viktor Orban
Orban was able to get his demands accepted at the special EU summit
German Economy Minister Robert Habeck, for example, accused Orban of “nefariously” playing poker for his own interests. Meanwhile, calls were heard from the EU Parliament to abolish the principle of unanimity. “People are simply tired of being danced around by Viktor Orban and others,” EPP leader Manfred Weber said.
Major impact on the market possible
What is also clear now is that Orban’s obtained exemption, which allows Hungary to continue to purchase Russian oil from pipelines, could have an impact on the entire market. Specifically, the deal reached now involves stopping the import of Russian oil by sea, but not the supply via pipelines. According to Michel, the embargo affects 75 percent of imports.
However, countries like Hungary, which are attached to “Druzhba,” have been given another concession. Should there be an “accident”, which Orban repeatedly brought into play in the run-up – in other words, should the pipeline be blown up, for example – countries like Hungary would also be allowed to purchase Russian oil from other sources.
“The compromise reached” has “consequences for the internal market, as it distorts the market,” Pornschlegel said. At Tuesday night’s press conference, the only argument made when asked was that Hungary was struggling with particular security of supply problems.
Enormous differences in oil prices
A look at current oil prices, however, reveals the enormous difference: The “Financial Times” (“FT”), for example, writes that Russian crude oil is currently trading for about 93 dollars per barrel – compared to the internationally common Brent, which trades for 120 dollars. Admittedly, the paper suspects that the price difference for pipeline oil is not quite so serious. But the FT also points to the Hungarian oil company MOL, which has reported “skyrocketing” margins since March.
After all, the resale of Russian pipeline oil has been banned – as well as the resale of refined products – “in order to keep market distortion low,” according to the FT. There is a transitional period of eight months for this – for the Czech Republic, this is significantly longer at 18 months.
And the northern branch of the “Druzhba” pipeline should not be completely ignored. Germany and Poland are also linked to the pipeline, but have already voluntarily declared their willingness to forego oil imports. They are not obliged to do so. Thus until the end of the year altogether 90 per cent of the Russian oil imports are to be stopped, it said in the night on Monday on demand to the concrete numbers. According to its own information, Austria had already completely abandoned Russian oil imports in March.
Numerous hurdles await oil companies
Georg Zachmann of Brussels-based think tank Bruegel also sees plenty of practical challenges for oil companies following the decision to impose the embargo: “Oil companies in member states will have to look for new suppliers to replace the omitted Russian supplies from December,” he said in a statement to ORF.at “For some oil companies, this will be easy, as they already have broad-based supply relationships – for others, the effort will be higher.”