Es war ein Prozess, in dem intime und erschreckende Details einer zerrütteten Ehe an die Öffentlichkeit gezerrt wurden, in dem beide Protagonisten in gewisser Weise Täter und Opfer sind. Im Verleumdungsprozess zwischen den Filmstars und Ex-Eheleuten wurden sowohl Johnny Depp als auch Amber Heard zu Schadenersatzzahlungen verurteilt, Heard zu einer weit höheren. Doch gewonnen hat am Ende keiner der beiden – und zurück bleibt auch ein verzerrter Diskurs über Gewalt in Partnerschaften.Online seit gestern, 19.26 UhrTeilen
Im engeren Sinne ging es in dem Prozess nicht darum, was die beiden einander angetan haben, sondern um die Vielzahl der gegenseitigen Vorwürfe – und ob diese der Wahrheit entsprechen. Dieser kleine Unterschied spielt nicht nur juristisch eine große Rolle, sondern weitet auch die Debatte über den Prozess aus.
Angesichts des enormen öffentlichen Interesses wurde vor Gericht, in den Medien und in sozialen Netzwerken nicht nur das toxische Verhältnis von zwei Menschen mit enormer Bekanntheit verhandelt, sondern auch viel breitere Fragen wie psychische, verbale und physische Gewalt in Beziehungen. Depp und Heard mussten auch als Projektionsflächen für diese Fragen herhalten – und genau da wurde es kompliziert: In der Öffentlichkeit verschwammen die Grenzen zwischen konkretem Fall und den zumeist verzerrten Schlussfolgerungen daraus.
Schadenersatz für beide – in unterschiedlicher Höhe
Die Geschworenen, fünf Männer und zwei Frauen, bewerteten einen 2018 von Heard verfassten Beitrag in der „Washington Post“ als verleumderisch und in bösartiger Absicht geschrieben. In dem Text hatte sie sich als Opfer häuslicher Gewalt bezeichnet – auch wenn Depp darin nicht namentlich genannt wurde. Der Schauspieler klagte wegen Verleumdung auf 50 Millionen Dollar Schadenersatz. Heard antwortete mit einer Gegenklage und forderte 100 Millionen Dollar.
Sie verwies darauf, dass Depps Ex-Anwalt Adam Waldman mit einer Schmutzkampagne ihrem Ansehen geschadet habe. Dass beiden Schadenersatz zugesprochen wurde, ist zugleich widersprüchlich wie auch logisch. Dass ihm 15 Millionen Dollar – am Ende nach geltendem Recht in Virginia etwas mehr als zehn Millionen – zugesprochen wurden und Heard nur zwei Millionen, mag Depp als Sieger der Schlammschlacht aussehen lassen.
Problematische Charaktere
Doch der Prozess brachte Depps Vergangenheit mit Drogenmissbrauch und Gewaltausbrüchen ans Licht. Den Geschworenen wurde eine Reihe von Ton- und Filmaufnahmen von hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Depp und Heard voller obszöner Beleidigungen vorgespielt. Seine im Prozess vorgelesenen Textnachrichten über seine Ex-Frau ramponierten sein Image, da half auch die Ausrede seiner Anwälte, Depp habe einfach einen „bildstarken Schreibstil“, wenig.
Der Prozess zeichnete ein Bild des harschen Aufeinandertreffens zweier problematischer Charaktere, jeweils wohl durch eigene Missbrauchs- und/oder Gewalterfahrungen geprägt, teils durch Alkohol- und Drogenmissbrauch beeinträchtigt und wohl durch ihr Superstardasein auch der Realität entrückt.
Ruinierte Karrieren
Ging es im Prozess auch darum, dass die beiden einander vorwarfen, durch üble Nachrede lukrative Filmrollen verpasst und damit ihre Karrieren zerstört zu haben, dann ist es geradezu absurd, wie einander beide während des Prozesses noch weiter beschädigten. Insider rechnen laut „Guardian“ damit, dass Depp zunächst den Weg in kleinere Independent-Produktionen suchen müsse.
Ein Comeback zu ganz großen Rollen scheint zwar – siehe andere Stars, die nach Skandalen zunächst von der Bildfläche verschwanden – möglich, das werde aber dauern. Dass Heard den Sprung zurück ins große Filmgeschäft schafft, gilt als ungleich schwieriger, vor allem weil sie zuvor auch keine prestigeträchtigen Hauptrollen hatte.
Urteil die eine Sache, Signalwirkung eine andere
Abgesehen vom Schicksal der beiden stellt sich die Frage, wie groß der gesellschaftliche Schaden des Prozesses ist. Letztlich war die Frage, ob Depp wie von Heard behauptet auch physische Gewalt gegen sie ausgeübt habe. Die Geschworenen verneinten das, und auch juristische Prozessbeobachterinnen und -beobachter kamen mehrheitlich zum Schluss, dass die von Heard vorgelegten Indizien und „Beweise“ körperliche Übergriffe nicht hinreichend bestätigen würden – und vielleicht sogar gefälscht seien.
Dieses Urteil mag in der Sache richtig sein, hat aber auch eine ungeahnte Signalwirkung: Weitergedacht heißt es, dass psychische und verbale Gewalt irgendwie tolerierbar sei.
„Verheerende Auswirkungen auf Opfer häuslicher Gewalt“
Viele Kommentatoren und Kommentatorinnen wiesen darauf hin, dass Gewaltopfer den Fall wohl mit Entsetzen verfolgt hätten, wie es in der „New York Times“ heißt. Der Prozess könnte „verheerende Auswirkungen auf Opfer häuslicher Gewalt haben“, heißt es im „Guardian“.
Frauen würden „nun mit dem Wissen zum Schweigen gebracht werden, dass sie nicht über ihre Gewalterfahrungen durch Männer sprechen können, ohne dass ihnen eine ruinöse Verleumdungsklage droht. In diesem Sinne ist die Redefreiheit von Frauen gerade viel weniger frei geworden.“
Dabei ist es weniger das Urteil, das für ein solches Klima gesorgt hat. Das Gerichtsdrama habe die „tiefsten frauenfeindlichen Tendenzen offenbart“, heißt es in einem „New York Times“-Kommentar mit Verweis auf die öffentliche Debatte, vor allem in sozialen Netzwerken. Dort sei Heard an den Pranger gestellt worden, „nur dass Memes die Steine ersetzt haben“. Und das könnte sich noch fortsetzen, wenn Heard wie angekündigt in Berufung geht.
„#MeToo“-Schablone passt nur bedingt
Gerächt hat sich jedenfalls die unzulässige Vereinfachung, den Fall mit scherenschnittartiger „#MeToo“-Schablone bewerten zu wollen. Denn der häufig zutreffende Sachverhalt eines männlichen Täters und eines weiblichen Opfers mit eindeutigen Rollen geht hier großteils ins Leere. Und der Versuch, das Verhältnis von Depp und Heard schwarz-weiß zu bewerten, gibt eher all jenen ein Beispiel und damit Aufwind, die Übergriffe von Männern auf Frauen zu relativieren und damit zu verharmlosen versuchen.
Links:
DEPP V. HEARD
Verdict with many losers
It was a trial in which intimate and shocking details of a broken marriage were dragged to the public, in which both protagonists are in a sense perpetrators and victims. In the defamation trial between the movie stars and ex-husbands, both Johnny Depp and Amber Heard were ordered to pay damages, Heard a much higher one. But in the end, neither won – and what remains is a distorted discourse on violence in partnerships.
In the strictest sense, the trial was not about what the two did to each other, but about the multitude of mutual accusations – and whether they were true. This small difference not only plays a major role legally, but also broadens the debate about the trial.
Given the enormous public interest, not only was the toxic relationship of two people with enormous notoriety litigated in court, in the media and on social networks, but also much broader issues such as psychological, verbal and physical violence in relationships. Depp and Heard also had to serve as projection screens for these issues – and that’s where things got complicated: In the public eye, the lines between the concrete case and the mostly distorted conclusions drawn from it became blurred.
Damages for both – in different amounts
The jurors, five men and two women, assessed a 2018 article written by Heard in the “Washington Post” as defamatory and written with malicious intent. In the text, she had referred to herself as a victim of domestic violence – even though Depp was not named in it. The actor sued for $50 million in damages for defamation. Heard responded with a countersuit, demanding $100 million.
She pointed out that Depp’s ex-lawyer Adam Waldman had damaged her reputation with a smear campaign. The fact that both were awarded damages is both contradictory and logical. The fact that he was awarded 15 million dollars – in the end a little more than ten million according to the applicable law in Virginia – and Heard only two million, may make Depp look like the winner of the mud fight.
Problematic characters
But the trial brought to light Depp’s past of drug abuse and violent outbursts. Jurors were played a series of audio and film recordings of heated arguments between Depp and Heard full of obscene insults. His text messages about his ex-wife, which were read out at the trial, tarnished his image, and his lawyers’ excuse that Depp simply had a “picture-perfect writing style” did little to help.
The trial painted a picture of a harsh clash between two problematic characters, each probably marked by his own experiences of abuse and/or violence, partly impaired by alcohol and drug abuse, and probably also removed from reality by their superstardom.
Ruined careers
If the trial was also about the two accusing each other of having missed out on lucrative film roles through slander and thus ruining their careers, then it is downright absurd how both damaged each other even further during the trial. According to the Guardian, insiders reckon that Depp will first have to find his way into smaller independent productions.
A comeback to big roles seems possible – see other stars who initially disappeared from the scene after scandals – but it will take time. It is considered much more difficult for Heard to make the leap back into the big film business, especially because she has not had any prestigious leading roles before.
Verdict one thing, signal effect another
Apart from the fate of the two, there is the question of how great the social damage of the trial is. Ultimately, the question was whether Depp had also used physical violence against her, as alleged by Heard. The jury answered in the negative, and legal trial observers also came to the majority conclusion that the circumstantial evidence and “proof” presented by Heard did not sufficiently corroborate physical assault – and may even have been fabricated.
This ruling may be correct on the merits, but it also has an unexpected signaling effect: taken further, it says that psychological and verbal violence is somehow tolerable.
“Devastating impact on victims of domestic violence”
Many commentators pointed out that victims of violence must have watched the case with horror, according to The New York Times. The trial could have a “devastating impact on victims of domestic violence,” the “Guardian” said.
Women would “now be silenced with the knowledge that they cannot speak about their experiences of violence at the hands of men without the threat of a ruinous defamation lawsuit. In that sense, women’s freedom of speech has just become much less free.”
Yet it is not so much the verdict that has created such a climate. The courtroom drama has “revealed the deepest misogynistic tendencies,” says a “New York Times” commentary, referring to the public debate, especially on social media. There, Heard had been pilloried, “only for memes to replace rocks.” And that could continue if Heard appeals as announced.
“#MeToo” template only fits to a certain extent
In any case, the inadmissible simplification of wanting to evaluate the case with a silhouette-like “#MeToo” template has taken revenge. For the frequently applicable facts of a male perpetrator and a female victim with clear roles largely go nowhere here. And the attempt to evaluate the relationship between Depp and Heard in black and white rather gives an example and thus an impetus to all those who try to relativize and thus trivialize assaults by men on women.
Links:
Fairfax County
“Guardian” article
“New York Times” commentary
“Guardian” commentary